Strong Voice Interview #30: Annahita Esmailzadeh
Strong Voices sind für uns Frauen, die etwas bewegen, die inspirieren und in ihrem Bereich einen postiven Impact haben. Auf wenige trifft dieser Begriff so zu wie auf Annahita Esmailzadeh. Auf LinkedIn nutzt sie ihre Reichweite und Stimme um auf Missstände hinzuweisen und aktiv Veränderungen anzustossen. Ein weiterer Meilenstein ist dabei ihr am 16. August erscheinendes Buch, in dem sie Stereotype, Geschlechterrollen und diskriminierende Muster hinterfragt und aufzeigt, warum Unternehmen sich Vorurteile in Zeiten des Fachkräftemangels nicht leisten können. Persönlich kann ich nur sagen: Ich habe selten eine so zielstrebige, ehrgeizige und gleichzeitig warmherzige, pragmatische und unterstützende Frau kennengelernt und es macht mich unfassbar stolz, das Interview über ihre Erfahrungen und ihr Buch hier zu veröffentlichen.
"Ich habe die Erfahrung gemacht, dass sich Vorurteile in den meisten Fällen durch demonstrierte Kompetenz und Leistungen aus dem Weg räumen lassen. "
Annahita Esmailzadeh
Annahita, dein Buch handelt über Vorurteile in der Arbeitswelt. Begegnet auch dir Schubladendenken?
Allerdings. Seitdem ich denken kann, werde ich in Schubladen gesteckt. Und seitdem ich denken kann, scheine ich zugleich in keine von ihnen so wirklich reinzupassen. Aufgrund meines für die IT »untypischen« Erscheinungsbildes begegnet mir etwa immer wieder grosse Verwunderung, wenn ich erzähle, dass ich in der Tech-Branche arbeite, bis hin zur schieren Fassungslosigkeit, wenn ich hinzufüge, dass ich sogar ganz solide programmieren kann. Menschen sind in Anbetracht meines jungen Alters ebenso oft schockiert, wenn ich ihnen erzähle, dass ich Führungskraft in einem IT-Konzern bin: »Wow, du siehst gar nicht aus wie ein Chef«, höre ich immer wieder. Oder ebenso schmeichelhaft: »Das hätte ich dir auf den ersten Blick ehrlich gesagt gar nicht zugetraut!« Im gleichen Zuge werde ich regelmässig für mein »perfektes Deutsch« gelobt und mein süddeutscher Einschlag wird fasziniert zur Kenntnis genommen. »Richtig klasse, dass du so tolles Deutsch sprichst!«, stellen Menschen nicht selten beim ersten Kennenlernen anerkennend fest. Woraufhin ich regelmässig trocken entgegensetze, dass mein »perfektes Deutsch« eigentlich kaum eine erwähnenswerte Glanzleistung sein sollte, wenn man bedenkt, dass ich in München geboren und aufgewachsen bin.
Wie haben sich diese Vorurteile in deinem Arbeitsalltag gezeigt?
Vor einigen Jahren war ich als IT-Projektleiterin Menschen fachlich überstellt, die in der Regel fast doppelt so alt waren wie ich und rund 20 Jahre mehr Berufserfahrung auf dem Buckel hatten. Nicht selten wurde ich in dieser Zeit von Kunden oder auch Kollegen beim ersten Aufeinandertreffen - mal mehr und mal weniger charmant - aufgefordert, den Kaffee zu bringen oder in Terminen Protokoll zu führen. Der ertappte Blick der jeweiligen Personen, als ich - mal mehr und mal weniger freundlich - darauf hinwies, dass ich die jeweiligen Projekte leite und weder die Projektassistenz noch die Praktikantin bin, wie man scheinbar automatisch angenommen hatte, sprach jedes Mal Bände. Der Übergang von fachlicher zu disziplinarischer Führungsverantwortung verstärkte dieses Phänomen zunehmend. Nun leite ich als Führungskraft grosse Teams in der Tech-Branche und bin damit oft weitaus jünger als meine eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Bis heute passiert es mir immer wieder, dass meine - vornehmlich männlichen älteren Mitarbeiter - für meinen Chef gehalten werden.
Welche Schubladen für Frauen gibt es in der Arbeitswelt noch?
Einige. Ein Klassiker ist die vermeintlich pauschal unterqualifizierte Quotenfrau. Frauen werden ebenso regelmässig in Schubladen gesteckt, weil sie gesellschaftlichen Schönheitsidealen entsprechen oder auch, wenn sie das nicht tun. Auch rund um Familienplanung und Erziehung ranken sich viele Geschlechterklischees und Rollenerwartungen - mit mannigfaltigen Konsequenzen: So wird Frauen im gebärfähigen Alter vielerorts durchgehend ein Kinderwunsch unterstellt, auch wenn sie gar keine Kinder bekommen wollen oder können. Entsprechen Frauen dieser Erwartung und bekommen Kinder, können sie es der Gesellschaft wiederum auch nicht recht machen: Halten sie trotz Kind weiterhin an ihrer Karriere fest, werden sie als Rabenmütter abgestempelt, wohingegen ihnen fehlende berufliche Ambitionen unterstellt werden, wenn sie für die Familie im Job kürzertreten oder ihre Arbeitszeit reduzieren.
Welchen Rat würdest du mit Frauen teilen wollen?
Was ich nicht empfehle, ist, sich zu verbiegen, um bloss nicht in der falschen Schublade zu landen. So bin ich beispielsweise jedes Mal irritiert, wenn Frauen in Karriereratgebern geraten wird, sich möglichst dezent zu schminken und zu kleiden, um bloss keine »Vorurteile« zu erzeugen. Die Lösung gegen Vorurteile ist nicht, dass wir uns ab jetzt alle verstellen, um bloss kein »falsches Bild« zu erzeugen. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass sich Vorurteile in den meisten Fällen durch demonstrierte Kompetenz und Leistungen aus dem Weg räumen lassen. Bei anderen Menschen scheinen die Schubladen hingegen stark zu klemmen - auch wenn wir uns auf den Kopf stellen. In diesen Fällen kann ich euch nur eine kleine Gedankenanregung mitgeben, die ich vor einiger Zeit gelesen habe: »Wenn eine Blume nicht blüht, schauen wir darauf, was an ihrer Umgebung nicht stimmt, und beschuldigen nicht die Blume.« Ist was dran, oder?
ÜBER ANNAHITA:
Annahita ist Tech Leaderin, Bestseller-Autorin und Speakerin. Seit 2021 leitet sie bei Microsoft den Bereich Customer Success Account Management. Als eine der einflussreichsten Meinungsmacherinnen der Wirtschaft setzt sie ihre Stimme auf den sozialen Netzwerken und in den Medien für mehr Diversität und Inklusion sowie moderne Kultur- und Führungsansätze in der Arbeitswelt ein. Sie ist Mitherausgeberin und Autorin des SPIEGEL-Bestsellers „Gen Z für Entscheider:innen“ und Autorin des Buchs „Von Quotenfrauen und alten weissen Männern“, das im 16. August 2023 erscheint.
Ausserdem engagiert sie sich als Mentorin für zahlreiche Initiativen. Sie wurde vom FOCUS Magazin als eine der 100 Frauen des Jahres 2022 ausgezeichnet. Das Wirtschaftsressort des Wirtschaftsmagazins Business Insider kürte sie als eine der Top 25 Zukunftsmacherinnen, die die deutsche Wirtschaft verändern und prägen. Sie ist Trägerin der Europamedaille und erhielt 2022 den German Diversity Award.